Wettkampf: 2010 // 07.10.2010
1. Deich-Halbmarathon in Neuwied
Nichts ist wie immer. Brunchen in großer Gesellschaft fremder lieb gewonnener Menschen. Zwei Stunden vor dem Startschuss wandert der Blick auf die Uhr, wieder und wieder. Das Gezappel fängt langsam an. Umziehen, aufgeregt sein und in großer Gruppe zum Start. Ungewohnt aber angenehm. Ablenkung statt Nervösität. Erst vor Ort starte ich die Musik und mache mein eigenes Ding.
Die psychische Vorbereitung
Warmlaufen. Konzentrieren.
Die Musik bringt mich sofort in Fahrt. Wildes Gehüpfe. Ich bin heiß. So richtig.
Wenn da nicht diese Nervösität wäre. Das große Ziel lautet 1:25. Möglich? Immerhin lässt mich die gelungene Generalprobe weiter hoffen. Erste Vorraussetzung, war das richtige Tempo. Mein Mantra "Bloß nicht zu schnell starten!" hatte ich mir schon am Morgen vor dem Badezimmerspiegel eingeprägt.
Langsam starten?
Die Meute stürmt los. Nun ist es zwar nicht wie immer aber zumindest wie bei den letzten Läufen. Ich halte mich zurück, lasse bestimmt 40 Läufer vor mir durch die Straßen preschen, genieße die Anfeuerungen der Fremden Freunde, suche meinen Rhythmus und lasse es laufen. 3:57. 3:59. "Keinesfalls schneller als 4:00/km starten" schießt es mir wieder durch den Kopf. Ich bewege mich an der Grenze und lasse es laufen, denn den Trainingsleistungen nach ist die 1:25 definitiv möglich.
Was ist passiert? Warum bin ich schon so weit?
Alles geht schnell. Kilometer um Kilometer. Schon jetzt sammle ich die ersten Läufer ein, die wie die Wilden gestartet waren. Der ständige Blick auf die Uhr warnt mich. 5 Kilometer in 19:59. Nicht schneller werden. Die erste Verpflegungsstelle naht, ein Becher Wasser und zwei Schwämme, auch wenn die Bedingungen mit bewölkten 15 Grad nahezu perfekt sind. Ein Halbmarathon kostet Kraft und der Körper will gekühlt sein. So laufe ich weiter, sammle ein, alles wie im Rausch.
Das hier ist ein Halbmarathon!
Die 10-Kilometer-Marke passiere ich nach 39:59 perfekt im "heimlichen" Plan von 4:00/km und ich fühle mich, als wäre der Startschuss keine fünf Minuten her. Nun beginnt allerdings der ernst Teil, denn ein Halbmarathon bedeutet stolze 21,1 Kilometer. Die Beine werden langsam schwerer, wobei sich die linke Wade von Beginn an bemerkbar macht. Ich kämpfe mich aber besinnungslos durch, immer weiter und weiter. Die lange Gerade geht vorbei und wir erreichen Engers. Ein kleines Stückchen bergab, an Zuschauern und Sambatrommlern vorbei. Es läuft.
Kämpfen und durchhalten!
Der Rückweg. Ein von Wurzeln zersprengter Asphaltweg. Ich bleibe dran, ziehe mich an Läufer für Läufer nach vorne. Nur eine Frage bleibt jetzt im Kopf: Was kann ich noch? Die Beine sind schwer, doch das Ziel ist schon so nah. Fünf Kilometer, die in Gedanken nur noch ein Katzensprung sind. Nur der Mut fehlt, schon jetzt das Tempo vollends anzuziehen und dennoch absolviere ich die zweiten zehn Kilometer in etwa 39:20.
Ich versuche im Kopf zu berechnen, was noch möglich ist, was heute drin sein wird. Schnell stelle ich aber fest, dass das alles egal ist. "Irgendetwas unter 1:24", wenigstens das Unterbewusstsein ist vollends zufrieden und lässt mich laufen. Einfach weiter, immer weiter.
Gänsehaut und Grenzerfahrung ...
Der letzte Kilometer wird noch einmal anstrengend. Richtig anstrengend. Minimal geht es bergauf, der Vordermann ist zu weit weg und ich erahne die fiese Zielkurve. Ich höre die Zuschauer und die Gänsehaut beginnt. Das ganz große Kino hat geklappt.
Die Zielkurve verhindert einen wahren Zielsprint. Der Pulsgurt rutscht herunter und ich fliege mit letzter Kraft hindurch, stolpere in den Zielbereich und verschwinde in einer anderen Welt.
Die Kraft zum Freudenschrei fehlt, der Blick für die genaue Zeit ebenso. Zehn Minuten lang gehe ich auf und ab, schnappe mir bei jeder Runde einen Becher Apfelsaftschorle (die sind aber auch winzig!) und versuche keinesfalls stehen zu bleiben. Die Muskeln geben mir das Gefühl, jeden Moment zu versagen.
Futtern und freuen
Mit drei halben Bananen und zwei Scheiben Brot bestückt begebe ich mich schließlich zu den Anderen und kann Julia beruhigen, dass es mir langsam wieder gut geht. Eigentlich mehr als gut. Richtig gut. Irgendwie grandios. Was ich bereits im Unterbewusstsein weiß, wird mir aber erst später so richtig klar. Zu sehr rebellieren die Muskeln.
Ich wechsele schnell die Kleidung und laufe dann in dem langsamsten Tempo des Jahres Eva entgegen, die in Begleitung von Gerd und Steffen ihr Halbmarathon-Debüt gibt. So finde ich wieder zu Kräften und kann die drei mit einem breiten Grinsen begrüßen.
Der Weg zum perfekten Halbmarathon: Kein zu schneller Start
Der Lohn für die Qual
Gemeinsam wird schließlich erholt und gefeiert. Während Eva beim Rhein-Wied-Cup in der Altersklasse Zweite wird, darf ich mich mit der zweiten Teilnahme nach dem Bahnlauf über den Dritten Platz in der Cupwertung sowie den Altersklassensieg, den 12. Gesamtplatz und eine grandiose 1:23:36 beim 1. Deich-Halbmarathon in Neuwied freuen.
Ein mehr als grandioses Wochenende - vor allem auch wegen der Anwesenheit von euch herzallerliebsten Fremden Freunden -, auch wenn ich von der Strecke nichts mitbekommen habe. Das riecht nach Wiederholung.
Statistik:
Deich-Halbmarathon | ||||
Platzierungen: | 1. von 16 (AK), 12. von 312 (Gesamt) | |||
Veranstalter: | http://www.neuwieder-stadtlauf.de/ | |||
Ergebnisse: | http://www.bernath.info/Neuwieder%20Stadtlauf/h... | |||
Besten Läufe über 21,1 km | ||||
17.08.2014 | 1. Lußhardtlauf | 1:14:01 (3:30) | ||
09.04.2016 | 2. Rhein-Volkslauf | 1:15:34 (3:35) | -1:33 | |
23.03.2014 | 3. TSG Halbmarathon | 1:15:36 (3:35) | -1:35 | |
31.05.2014 | 4. SAP Arena Marathon | 1:15:38 (3:35) | -1:37 | |
13.10.2012 | 5. Göteborg Halvmarathon | 1:16:14 (3:37) | -2:13 | |
... | ||||
02.10.2010 | 14. Deich-Halbmarathon | 1:23:36 (3:58) | -9:35 |
Siehe auch
21 Kommentare
Lob, Kritik und Anregungen sind immer herzlich willkommen.
Zum Bloggen gehören eure Meinungen ebenso sehr wie die Artikel.
daß Du mir unheimlich ans Herz gewachsen bist, wie sehr ich mich mit Dir freue ... da ist alles gesagt. ;-)
Fühl Dich fest gedrückt und überleg` Dir, wann wir uns das nächste Mal sehen. :-D
Dein Beitrag ist nochmal spannend, weil es wieder einen anderen Blick auf den gleichen Samstag gibt. Witzig.
Ein großer Ding mein Lieber, Du bist riesengroß ;)
Und nuur gut das Du auch ein Rechenmeister bist, ich hätte da nix mehr rechnen können, so absolut nichts mehr ;)
Mir gefällt Dein Vorstartverhalten. Schicke Sache mit dem in-the-zone gehen.
Das mit dem Rechnen kenne ich gut. Ich mach fast auch nix anderes beim Rennen.
Nun da bin ich mal auf die Zeit beim Matathon gespannt. So wie ich Dich kenne wirst Du den mit einer 2er Zeit laufen. Wow.
Ichhabe meinen Berlin-Marathon nun mit 4:23h geschafft (23Minuten ;-) ) 55 Minuten besser als vor 4 Monaten in Stockholm. Nun greife ich nach der 3er Zeit ;-) 2011.
Nochmal herzlichen Glückwunsch!
Bravissimo !
wunderbarer Bericht und wie es aussieht ein feiner Lauf. Ich denke da hast Du alles richtig gemacht. Nicht zu schnelles angehen (das Mantra kenn ich), dann fein die Kilometer abspulen, in den Körper horchen und die Zeiten hochrechnen. Wenn ich Deine Kilometerzeiten richtig interpretiere, hat Dich die Bergabpassage mit den Sambatrommlern noch einmal richtig in Fahrt gebracht (ich werde bei sowas auch immer schneller mit 'aut von Gans). Hinten raus beißen und kämpfen nd dann mit einer SuperZeit dastehen. Dafür laufen wir oder? :))
Viel Erholung noch und Spass weiterhin.
BG
Christian
Danke, TURBOHANNES, das war ein unvergessliches Wochenende!
So, und zu deiner Leistung auch an dieser Stelle:
Ich verneige mich vor deiner neuen PB und gratuliere dir von ganzem Herzen!
Hannes, ich bin mir sicher, von dir werden wir alle noch sher viel hören, du hast ein unglaubliches Potenzial und den entsprechenden Willen und die Zähheit dazu!
Ganz herzliche Grüße von den Runningfreaks,
Steffen
Gratuliere, lieber Hannes!!!
Ich kann nicht fassen das man so schnell laufen kann, ohne das man sich ein Schnitzel anbindet und sich von Hunden hetzen lässt. ;-)
Mach weiter so!!!
Du hast die tollen Ergebnisse aus den Unterdistanzen hervorragend auf die Halbmarathonstrecke übertragen und mit der grandiosen Bestzeit Dein Laufjahr 2010 gekrönt !
Herzliche Gratulation !
risinghigh
@Evchen:
Ein Glück, dass ich nach "hier unten" gezogen bin, wa? :-)
@Pienznaeschen:
Das hat ja bei mir auch nicht so recht geklappt.
@Chris:
Die Sponsoren warten bestimmt noch, bis ich den Marathon unter 2:30 laufe ...
@Sinusläufer:
Dabei hat das dieses Mal deutlich länger als sonst gedauert. Du hättest mich mal bei einem der üblichen Läufe sehen sollen ;-)
@Gretel:
Der richtig schnelle Kilometer dazwischen ist mir unterwegs auch gar nicht sonderlich aufgefallen. Dafür hätte ich aber die letzten fünf Kilometer eigentlich schneller erwartet.
Tja, was soll ich da noch schreiben? Meine Skepsis hat Dich anscheinend beflügelt. Mit einem Schnitt von unter 4 Minten hast Du es mir aber mal richtig gezeigt. Echt klasse! :-)
Und das Drumherum muss ja mindestens genauso toll gewesen sein. Einfach nur perfekt, oder?
Der Bericht ist ja mal so was von mitreisend geschrieben. Super.
Liebe Grüße
Marcel
Lg
Willi
PS: Bleib auf jeden Fall dran!