Wettkampf: 2013 // 12.11.2013

Bottroper Herbstwaldlauf über 50 km

5:30 Uhr, der Wecker klingelt. Da das Frühstücksbuffet im Hotel zu spät startet, schmiere ich mir selbst meine Honigbrötchen, mixe mir meine Eigenverpflegung und mache mich auf den Weg zum Bergwerk Prosper Haniel. Knapp eine Stunde Fußweg in Ermangelung öffentlichen Nahverkehrs am frühen Sonntagmorgen. Zeit, sich mit etwas Musik in Fahrt zu bringen.

Vor Ort treffe ich das ein oder andere bekannte Gesicht. Sehr entspanntes Vorwettkampfgeplänkel. Ich laufe mich ein paar Meter warm und bin bereit für den großen Lauf. Auch wenn es kurz vorher doch noch zu regnen beginnt: Die Stimmung ist gut.

Klares Ziel: 3:29, also 4:12/km. Wobei ich entgegen der Ankündigung, eine erste Runde unter 1:45 gehöre bestraft, ein Tempo zwischen 4:00/km und 4:12/km als in Ordnung betrachte. Zwischen 3:20 und 3:30 ist eine realistische Einschätzung.

Ein konzentrierter Start: Es läuft

Vom Start weg geht es zunächst auf Asphalt Richtung Norden. Verhaltener Start. Ich bremse mich. "Nicht auf die anderen Läufer achten! Dein eigenes Tempo laufen!" - Ich komme ganz gut rein. Bald geht es etwas hoch und über eine Brücke hinüber, bevor wir kurz darauf in den Wald einbiegen. Aber auch dort sind die Wege fest. Hier und da matschig, aber keine kraftraubenden Hindernisse. Das hatte ich schlimmer befürchtet.

Von der Menge an Läufern hier vorne bin ich überrascht. Im positiven Sinne. Beine zum Hinterherlaufen suchen, Tempo kontrollieren, ruhig bleiben. Wir passieren den ersten Verpflegungspunkt und ich halte Ausschau nach der Flasche, die hier für später stehen soll. "Wo ist die denn?" Nicht gesehen. Hoffentlich habe ich nachher mehr Glück.

Ein kleines Stückchen laufe ich mit Vereinskollege Kai zusammen. Wir plaudern kurz, noch hat man ja die Luft dazu. Nach und nach sortiert sich das Feld ein wenig. Den Einen lässt man wieder nach vorne ziehen, dem Anderen läuft man davon.

Dann fängt mein Forerunner an, mich zu belügen. Erst eine 5er-Pace, dann eine 6er-Pace. Ist der Satellitenempfang hier im Wald so mies? Ich schwenke also um auf die Kilometermarkierungen, auch wenn ich die Auto-Lap erst etwas später abstelle.

km 1 bis 10: 4:02 - 4:05 - 4:08 - 4:34* - 4:05 - 4:06 - 5:00* - 3:04* - 4:09 - 4:08 = 41:21

Der Regen lässt langsam nach. Die Beine sind durch die versifften Wege längst eingesaut, aber es bleibt dabei: Kein schwieriger Untergrund. An einer Abzweigung nimmt mein Vordermann fast den falschen Weg. Ich kann ihn gerade noch nach links lotsen. Kurze Verwirrung. Sind wir hier richtig? - Wir sind es.

Bei Kilometer 13 wartet meine erste Verpflegung: Ein in Wasser aufgelöstes Gel mit etwas zusätzlichem Salz und Zucker. Schmeckt gut und tut gut, ist nur leider durch den Regen bitterkalt. Ich schleppe die Flasche ein Weilchen mit mir, bis ich sie ausgetrunken habe. Insgesamt fünf solcher Flaschen habe ich für km 13, 21, 32, 37 und 42 abgegeben.

Der Rückweg zum Start: Ein folgenschwerer Fehler?

Inzwischen habe ich eine gute Gruppe gefunden, doch beim nächsten Verpflegungspunkt setze ich aus, während der Rest ein paar Sekunden verliert. Ich blicke mich mehrmals um und überlege, ob ich auf die Gruppe warten soll? Ich warte nicht. Ein Fehler.

km 11 bis 20: 3:42* - 3:47* - 3:58* - 4:44* - 4:03 - 3:53 - 4:05 - 4:08 - 3:55 - 4:06 = 40:15

Auf dieser Seite vom Heidsee sind viele Spaziergänger unterwegs. Das spornt an und kurz darauf treffen wir auf die Läufer der 10-km-Distanz. Etwas unkonzentriert werde ich schneller. Bei Kilometer 21 schnappe ich mir meine nächste Flasche, die nochmal etwas kälter ist. Ich trage sie wieder mit mir mit und nehme immer wieder einen kleinen Schluck.

Bottrop
Alles gut nach 25 Kilometern

Einen Blick auf das Tempo habe ich scheinbar nicht mehr geworfen. Die Gedanken waren anderswo. An der Straße entlang, die Brücke hinüber, der Führende kommt entgegen. Hinab zum Start-/Ziel-Bereich. Es ist voll. Sebastian steht dort, feuert mich an. Ich strahle ihm entgegen. "Läuft doch gut!"

Erste Hälfte in 1:41:16.

Auf in die zweite Runde: Zu früh zu mutig?

Ein "Eieiei!" oder "Oh weh!" kommt mir nicht in den Sinn. Wieso auch? Es läuft gut. Es passt alles. 3:25? Oder gar 3:20? Es geht wieder über die Brücke. Problemlos. Wo waren überhaupt die befürchteten Hügel auf der Strecke? Nichts gemerkt.

km 21 bis 30: 3:48 - 4:04 - 3:47 - 4:08 - 3:48 - 3:55 - 4:00 - 3:47 - 3:59 - 3:57 = 39:13

"Demut schreibt man auf der zweiten Runde ohne D!" hatte Marcus mir noch gezwitschert. Dass ich aber bereits bei Kilometer 20 mutig geworden war, obwohl das eher erst bei Kilometer 35 passieren sollte, hatte ich nicht im Kopf. 

Jetzt völlig allein im Wald unterwegs, fängt die Träumerei an. So weit bin ich gar nicht von der ganz ursprünglich einmal angedachten 3:20 entfernt. Das Tempo fällt. Hier und da vergewissere ich mich an der Strecke auf dem Forerunner, dass ich noch auf dem richtigen Weg bin, so einsam ist es hier.

Nächster Verpflegungspunkt. Zwei kurze Schlücke. Bitterkalt. Mehr trinken geht nicht. Auch so machen sich bereits leichte Seitenstiche bemerkbar. Trotzdem rechne ich hier nur den Abstand zur 3:20 und bleibe zuversichtlich. "Bleib konzentriert! Jetzt zählt's!" rufe ich mir noch einmal zu.

km 31 bis 40: 3:57 - 3:52 - 4:03 - 4:14 - 3:52 - 4:06 - 4:10 - 4:03 - 4:18 - 4:21 = 40:56

Ein qualvoller Rückweg

Dann aber wird es doch plötzlich schwer. Die Oberschenkelansätze machen dicht. Ich versuche zu beißen, aber der Versuch, das Tempo zu halten, endet in stärkeren Seitenstichen. Natürlich versuche ich, diese mit einer ruhigeren Atmung in den Griff zu bekommen, aber ich bin chancenlos. Egal, wie sehr ich mich bemühe, es wird nicht besser.

Ein Läufer überholt mich. Genau der wollte ich sein, der jetzt auf der zweiten Runde Gas gibt. Sollte. Wollte. Bin ich aber nicht.

Marathondurchgangszeit bei 2:51:30, aber ich rechne nicht mehr. Die Beine quälen mich. Nächster Verpflegungspunkt. Ich greife meine Flasche und auch einen Becher warmen Tee. Wirklich helfen tut beides nicht. Da kann man 40 Kilometer lang noch so gut laufen, wenn man erst einmal einen Knacks hat, hilft nichts mehr.

Ein weiterer Läufer überholt mich und spricht mich kurz an. An der gleichen Stelle war ich der Gruppe auf der ersten Runde davon gelaufen. Jetzt macht er es andersrum und zieht gnadenlos an mir vorbei. Grrr! Das wollte ich sein.

Aber nichts geht mehr. Ich mache eine kurze Pinkelpause. Nicht, weil ich wirklich muss. Eher in der Hoffnung, es würde gegen die Seitenstiche helfen, oder die kurze Pause würde den Oberschenkeln gut tun. Pustekuchen.

Ich ärgere mich. Genau das wollte ich nicht. Dieses Leid auf den letzten Kilometern. Wie ein vom Übermut Entkräfteter kraftlos dem Ziel entgegen torkeln. Die Zügel loslassen und sich dem Schicksal ergeben. Ich will nicht. Aber ich muss.

Bottrop
Kurz vor dem Zieleinlauf: Noch einmal durchbeißen!

Jetzt rechne ich wieder. Wie viel Puffer habe ich bis zur 3:30? Ein 5er-Schnitt wird reichen. Das muss doch möglich sein!

Langsam laufe ich an den letzten 25-km-Läufern vorbei. Aber auch das gibt keine Kraft mehr. Es liegt nicht am Willen. Ich will ja. Aber jeder Versuch, den Schmerz in den Beinen zu ignorieren und doch wieder Tempo aufzunehmen, endet in stärker werdenden Seitenstichen. Gnah!

km 41 bis 50: 4:24 - 4:32 - 5:03 - 4:54 - 4:54 - 4:51 - 5:06 - 4:44 - 4:44 - 4:12 = 47:24

Ein Becher Cola am letzten Verpflegungspunkt. Ein weiterer Läufer überholt mich. Ein letztes Mal über die Brücke. Ich versuche, an seinen Fersen zu bleiben. Kämpf doch bitte wenigstens zum Schluss! Na gut. Das kann ich wieder. Ein wenig tut es mir Leid für ihn. Beim Ultramarathon kommt es nun wirklich nicht auf die letzten Sekunden an. Die sind mir auch egal, aber ich möchte nicht wie ein gequältes Stück Elend über die Ziellinie kriechen, so, wie ich die letzten 10 Kilometer absolviert habe. Also noch einmal fliegen und freuen.

3:29:09.

Bottrop
Zieleinlauf: 3:29:09!

Absolute Zufriedenheit im Ziel

Ich sinke erst einmal auf den Boden. Puh! Aber ich bin glücklich. Auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht, auch wenn der Rennverlauf es nicht unbedingt hergibt und auch wenn ich nur noch ganz langsam über das Gelände humpele. Es ist vollbracht und die 3:29 steht!

In der Kaue, beim Ausziehen der verdreckten Sachen und beim Duschen unter dem traumhaften heißen Wasserstrahl lasse ich mir ewig Zeit. Hole etwas Luft und genieße still und heimlich den Schmerz. 3:29.

Das war sicherlich nicht das perfekte Rennen. Ob ich zu mutig war, egal ob auf das Angangstempo in 4:07/km bezogen oder auf die Beschleunigung zur Mitte des Rennens? Oder ob es doch hauptsächlich die kalten Getränke waren, durch die ich nicht genügend Gels zu mir genommen habe und die mich mit den Seitenstichen aus der Bahn geworfen haben? - Es ist mir für den Moment echt total egal. Am Ende ist die Rechnung schließlich aufgegangen. 3:29.

Statistik 

Herbstwaldlauf Bottrop
Platzierungen: 5. von 11 (AK), 15. von 378 (Gesamt)
Veranstalter: http://www.adler-langlauf.de/?s=laufveranstaltu...
Ergebnisse: http://my1.raceresult.com/details/index.php?pag...
Besten Läufe über 50 km
10.11.2013 1. Herbstwaldlauf Bottrop 3:29:09 (4:11)
26.01.2013 2. Rodgau Ultramarathon 3:34:55 (4:18) -5:46

* Ab Kilometer 15 habe ich manuell abgestoppt. Aber auch den folgenden Zwischenzeiten traue ich nicht immer.
** Danke für die Bilder, Sebastian!