Wettkampf: 2016 // 03.04.2016

6-Stundenlauf in Nürnberg mit DUV DM

Keine Vorankündigung. Kein großes Verrücktmachen. Einfach starten. Einfach machen.

Anfang Februar konnte ich der Versuchung nicht mehr widerstehen und habe mich für meinen ersten 6-Stundenlauf angemeldet. Sechs Stunden lang unerbittlich im Kreis zu rennen soll nur ein weiterer Schritt im Ultramarathon sein. Denn einfach laufen, immer weiter, das ist es, was den Kopf zur Zeit glücklich macht. Und darauf kommt es an.

Nach einem läuferisch mittelmäßigen Januar blieben mir neun Wochen, in denen ich gleich viermal über 160 Wochenkilometer lief und reichlich back2backs sammelte: 54 + 31, 51 + HM + 18, 35 + 33, 42 + 42, 61 + 30. Dazu durchschnittlich zwei Stunden Spinning und eine halbe Stunde Stabitraining pro Woche. Nur eines ließ ich außen vor, weil es zur Zeit keinen Spaß bringt: Tempotraining.

 

Aufregung? Nervosität? Ein klarer Plan? Fehlanzeige. „Irgendetwas zwischen 70 und 80 Kilometern“ lautet meine Antwort auf die Frage der Wenigen, die überhaupt von meinem Start wissen. Man muss ja nicht jedes Mal medial einen Wirbelsturm veranstalten, nur weil man ein bisschen läuft. Erwartungen herunterschrauben und einfach ausprobieren.

Entspanntes Frühstück. Ein Energy-Shot der Trainingspartnerin. Ich stülpe die Kompressionssocken über, verstaue Salztabletten in der Hosentasche und löse ein paar Gels in der Trinkflasche auf. Dazu eine zweite Trinkflasche mit nur ein paar Tropfen Energy im Wasser.

Reichlich unkoordiniert und ungeplant - aber es geht ja um nichts, auch wenn hier die Deutschen Meisterschaften der DUV ausgetragen werden und ich natürlich auch mal einen Gedanken daran verschwendet habe. Das Optimalziel von 80 Kilometern, immerhin ein 4:30er-Schnitt, wäre aber schon ein ganz starkes Ergebnis für den ersten 6er. Das reicht für die optimale Zielsetzung.

Es wird heruntergezählt und wir traben los. Ganz gemütlich wird auf der ersten Runde erst einmal geplaudert. Die erste Runde ist etwas kürzer, um später bei 1.522 Metern Rundenlänge eine exakte 50-km-Zeit beim Rundendurchlauf zu erhalten.

Ich halte mich zunächst an die Führungsgruppe. Zu schnell - das ist mir klar. Aber irgendwie kann ich nicht anders, kann mir diese Gruppe um die erfahrenen Adam Zahoran, Matthias Dippacher und Carsten Stegner nicht entgehen lassen. Erste vollständige Runde in 6:17. Das entspricht nicht wirklich meiner eigentlichen Vorgabe von 6:50. Aber ich denke nicht dran, mich fallen zu lassen. Das Tempo ist entspannend und ich laufe glücklich dem Verderben entgegen. (Bilder von der Führungsgruppe: bei [1] und [2])

Aus der Führungs- wird bald eine Verfolgergruppe mit Bernd und Carsten. Auch nach einem kurzen Dixi-Stop laufe ich wieder heran. Die Rundenzeiten bleiben bei etwa 6:20. Ich greife zur Trinkflasche. Nehme eine Salztablette. Rechne die Zeiten hoch. Das Tempo von etwa 4:10 entspräche einer Gesamtleistung von 86 Kilometern. Irrwitzig. Ein Trainer hätte mich am Streckenrand vermutlich zusammengestaucht. Ich laufe aber einfach weiter, erteile mir meinen eigenen Freifahrtschein. Mach doch, was du willst. Kost’ ja nix. Learning by doing.

Noch zwei-, dreimal greife ich zu einer meiner Trinkflaschen, die ich dann jeweils eine Runde mitnehme und immer wieder einen Schluck trinke. Von den aufgelösten Gels bringe ich dabei aber kaum etwas herunter. Und auch wenn ich im Training oft mit wenig Verpflegung zurecht gekommen bin, wird sich das hier rächen. Ganz sicher.

40 Kilometer lang geht mein Harakiri-Versuch gut. Dann setzen sich die schweren Oberschenkel, der müde Kopf und die fehlende Kraft gegen den ursprünglichen Willen durch. Dass ich das Tempo nicht auf der ganzen Distanz halten würde, war klar.

Drei Runden lang steht eine 6:50 auf der Uhr. Um die 2:57 für den Marathon. Gerade einmal die erste Hälfte ist vorbei und der Kampf beginnt. Durchbeißen. Aufrecht bleiben. Immer weiter. Immer, immer weiter.

Kurz darauf bleibe ich am Verpflegungsstand zum ersten Mal stehen. Zwei Becher Wasser für jeden Oberschenkel als Abkühlung, reichlich Wasser auf den Kopf. Etwas trinken. Uffz. Die sonnigen 15 Grad sind schön, machen das Ganze aber auch nicht wirklich leichter.

Etwa jede zweite oder dritte Runde wiederholt sich das Spiel. Kurz durchschnaufen, ein paar Meter gehen. Den Beinen etwas Abwechslung bieten. Das kostet letztlich viel Zeit, bringt dafür aber vielleicht auch die notwendige Erholung.

6-Stundenlauf Nürnberg
6 Stunden ziehen sich: Der Verlauf des Harakiri-Starts

Die Orientierung im Gesamtfeld geht langsam etwas verloren. Sechster oder Siebter bin ich in der Gesamtwertung, aber natürlich habe ich klar vor Augen, dass es zum Ende hin nicht besser werden wird. Ich beginne noch einmal zu rechnen, was ich für die 80 Kilometer noch laufen müsste. Aber die Beine sind zu schwer. Der Kopf zu müde.

Irgendwie den 5er-Schnitt halten. Komm schon!

Viereinhalb Stunden sind vorbei. Klingt toll, ist aber gar nicht schön, wenn es gleichbedeutend mit noch anderthalb Stunden Restlaufzeit ist. Das Verlockende: Die Zeit läuft einfach weiter, egal wie schnell oder langsam man ist. Egal ob man läuft, geht oder steht.

Dank nicht dran. Never give up!

Längst habe ich eine große Blase am großen Zeh. Einmal komme ich am Verpflegungsstand ungünstig auf. Vor Schmerzen pfeffere ich den Becher mit voller Kraft in den dafür vorgesehen Korb. Argh! Reiß dich zusammen.

Ein, zwei Runden quatsche ich mit Vereinskollege Kai, der knapp über 80 Kilometer als Bestleistung stehen hat, heute aber nicht so recht in Form ist und mit Problemen an der Beinseite zu kämpfen hat. Etwas Ablenkung tut gut.

Eine verdammte Stunde noch. Kann das Grauen nicht endlich vorbei sein? Knapp 67 Kilometer sind geschafft. Ich bräuchte noch einmal einen 4:30er-Schnitt. Unmöglich.

So genieße ich stattdessen all die Begegnungen auf der Strecke. Die Streckenposten, die einen unermüdlich mit Namen anfeuern und immer ein Lächeln für einen haben. Die Damen am Verpflegungsstand, die sich bestens um uns kümmern. Die Zeitnehmer und Rundenzähler, die einen anstrahlen. Alexander, der mir mehrfach beim Überholen gut zuspricht, irgendwie durchzuziehen. Bloß nicht stehen bleiben!

Ich bemühe mich. Runde für Runde. Das ewige Rundenlaufen macht mir dabei überhaupt nichts aus. Ganz im Gegenteil. Hier ist genug los: die Verpflegung, die Mitläufer, die Zuschauer - all das tut einfach nur gut. Einziger Nachteil: Die Livemusik, die eher einschläfernd als motivierend wirkt.

Erst in der letzten Viertelstunde wird die Freude über das nahende Ende wirklich spürbar. Zwei Runden noch. Für die letzte Runde den Holzstab mit Startnummer für die Restmetervermessung mitnehmen. Etwa sieben Minuten bleiben mir. Noch einmal anziehen. Irgendwo finde ich doch noch etwas Kraft. Noch einmal über die Matte. Noch ein paar Meter dranhängen.

Dann ertönt die Hupe. Die Erlösung.

Ich sinke zu Boden und lasse das Ganze sacken. Quäle mich Minuten später zum Verpflegungsstand. Die Finisher strahlen sich dabei gegenseitig an, solange die Kraft noch reicht, die Mundwinkel nach oben zu ziehen. Alle haben hier das Gleiche geleistet: Sechs Stunden lang die eigenen Grenzen überwunden.

6-Stundenlauf Nürnberg
 

Später in der Umkleide, ein anderer Läufer zu mir:
Ich habe dich doch schon einmal bei einem 6-Stundenlauf gesehen? ...“ -
Das kann nicht sein. Das war mein erster, „leider“ wohl aber nicht mein letzter.

 

Statistik

6-Stundenlauf Nürnberg
Platzierungen: 3. von 12 (AK), 10. von 213 (Gesamt)
Veranstalter: http://de.srichinmoyraces.org/6-stunden-lauf-n%...
Ergebnisse: http://my5.raceresult.com/52221/?lang=de
Besten Läufe über 6:00:00
02.04.2016 1. 6-Stundenlauf Nürnberg 79,051 km (4:33)

Siehe auch