Wissenschaft // 08.02.2015
ISPO 2015: Laufschuhsymposium
Zum zweiten Mal hat die Runner's World im Rahmen der ISPO, der renommiertesten Fachmesse für Sportartikel und -mode, in München zum Laufschuhsymposium geladen. Vor allem vor Vertretern der Industrie - viele, wenn auch längst nicht alle namhaften Laufschuhhersteller waren anwesend - und des Handels wurde über Laufschuhe und ihren Zusammenhang mit Verletzungen gefachsimpelt.
Ebenfalls eingeladen waren Blogger, von denen letztlich aufgrund fehlender Zeit und Desinteresse lediglich Frau Schmitt, Running Twin Henrik und ich anwesend waren. Dabei muss ich wohl von Glück sprechen, dass ich im Gegensatz zu Heidi zum ersten Mal dabei war und auch von der letztjährigen Veranstaltung kaum etwas mitbekommen habe. Im Rückblick wirkt das Vorgetragene doch sehr ähnlich.[1] [2]
"Wir müssen aufhören, den Leuten Schuhe wegen der Pronationsstütze zu verkaufen."
Prof. Nigg stellt Studienergebnisse vor
Für die beiden Keynotes referierten Prof. Benno Nigg (University of Calgary) und Prof. Gert-Peter Brüggemann (DSHS Köln), zwei der anerkanntesten Schuhexperten, über die Themen "Läuferverletzungen: Welche Rolle spielen die Laufschuhe?" und "Hat die Überpronation ausgedient?".
Prof. Nigg gab dabei eine Übersicht über viele verschiedene Studien, die den Zusammenhang zwischen Verletzungsrisiko und Laufschuh untersuchten, mit vielen unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Ergebnissen. Grundsätzlich wird dabei aber deutlich: Den Füßen ist der Schuhtyp (mit oder ohne Stütze) egal. Die Kräfte, die in der Standphase wirken, sind deutlich größer als die der Landephase. Eine Studie von Nielsen et al. aus dem Jahr 2013 zeigt sogar - immerhin bei einer Stichprobengröße von rund 1.800 - dass das Verletzungsrisiko für Pronierer (Winkel zwischen 7 und 10 Grad) am geringsten ist. Das Fazit: "Wir müssen aufhören, den Leuten Schuhe wegen der Dämpfung/Pronationsstütze zu verkaufen.". Stattdessen ist der "Komfort" des Läufers entscheidend, der sich aber schlecht wissenschaftlich bestimmen lässt.
In der zweiten Keynote sprang Prof. Brüggemann zunächst auf den Zug auf, wobei leider einiges aus dem vorigen Vortrag wiederholt und teilweise mit der gleichen Grafik untermalt wurde, um dann in die Wissenschaft und die Unterschiede zwischen Pronation und Eversion abzudriften. Am Ende bleibt im Kopf, dass Läufer am häufigsten Probleme im Kniebereich haben und hier der "natürliche Bewegungspfad" eines jeden eine zentrale Rolle spielt. Die Laufschuhe sollen diesen Pfad möglichst unterstützen und nicht korrigieren.
StrideSignature - Die Zukunft der Laufschuhberatung?
Prof. Brüggemann erklärt die Funktionsweise von StrideSignature
Passend dazu konnte André Kriwat von Brooks gemeinsam mit Prof. Brüggemann StrideSignature vorstellen, ein Konzept, dass die natürliche Kniebewegung anhand einer Kniebeuge mittels dreier Sensoren an Wade, Oberschenkel und Taille zunächst misst und anschließend mit der Bewegung im Laufen für jeden Laufschuh vergleichen kann. Das Konzept könnte die klassische Laufbandanalyse im Geschäft ablösen. Der Prototyp wurde für zwei Testpersonen mit zwei bzw. drei unterschiedlichen Schuhmodellen verschiedener Hersteller live ausprobiert. Das Ergebnis: Die Software spuckte am Ende jeweils den Schuh mit der geringsten Abweichung von der natürlichen Bewegung aus. In beiden Fällen der Schuh, den auch die Testperson subjektiv am komfortabelsten empfand.
Große Zurückhaltung beim Fazit
Bei den anschließenden Workshops wurden in Kleingruppen speziellere Themen erörtert. In der "Blogger"-Gruppe versuchten wir das Gehörte zu verarbeiten und zu interpretieren. Aus unserer Sicht klang das Vorgetragene zunächst wie ein Bruch mit den bisherigen Prinzipien. Auch wenn viele, vor allem erfahrene Läufer schon längst nur nach dem "Gefühl" kaufen, wird der Anfänger auch heutzutage noch meist durch die Laufbandanalyse anhand von Gewicht und Fuß- bzw. Kniestellung in eine Kategorie gesteckt. Da stellt sich für uns die Frage, wie man das dem Kunden vermittelt, wenn jetzt nur noch der Komfort entscheiden soll.
Die Reaktionen der anderen Symposiums-Teilnehmer verblüfften mich dann doch ein wenig. Dass ein Bruch bestehe und nun nur noch der Komfort entscheide, sei falsch. Das alles wäre nur ein erster Ansatz, um sich für die Zukunft Gedanken zu machen. Ein Ansatz, der offensichtlich bereits letztes Jahr vorgestellt wurde. Vielleicht ein Ansatz, der erst öffentlich umgesetzt und kommuniziert wird, sobald die eigenen Lösungen und Strategien bereit stehen.
Zum Abschluss: meine persönlichen Eindrücke
So ein Symposium mitzuerleben und einen Einblick in die Welt der Industrie und des Handels zu erhalten, war sehr interessant. Leider blieben aber so einige Fragen offen. Zum Beispiel das Thema Einlagen, zu dem Prof. Nigg eine Studie vorstellte, die absolut für Einlagen sprach ("Die Dämpfung muss möglichst nah am Fuß geschehen"), im Anschluss aber keine weitere Erwähnung fand. Oder die Frage, wozu man StrideSignature benötigt, wenn es letztlich ohnehin mit der subjektiven Einschätzung übereinstimmt? (Zugegeben, vielleicht kann der Anfänger nicht einschätzen, was "komfortabel" heißt.) Oder der provokante Vorwurf, warum denn noch immer Schuhe mit Pronationsstütze verkauft werden, wenn doch offensichtlich - von Extremfällen abgesehen - keine Korrektur notwendig ist?
Für mich bleibt offen, wann und was sich ändern wird, oder ob alles bleibt wie es war. Letztlich war es wohl nur ein kleiner Einblick, welche Gedanken sich die Hersteller machen (müssen). Denn auch wenn viele Läufer der Meinung seien mögen, dass man aus den Laufschuhen zwar eine Wissenschaft machen könne, aber nicht müsse, müssen die Hersteller ja irgendwie zu ihren Ideen und Entwicklungen kommen. Die bisherigen Laufschuhe, die wir tragen und lieben, sind auch nicht einfach vom Himmel gefallen.
Siehe auch
- "Es bleibt spannend in der Laufschuhentwicklung", runnersworld.de
- Augen zu beim Laufschuhkauf, running-twins.de
- Laufschuhsymposium 2.0. Und jetzt?, laufen-mit-frauschmitt.de
13 Kommentare
Lob, Kritik und Anregungen sind immer herzlich willkommen.
Zum Bloggen gehören eure Meinungen ebenso sehr wie die Artikel.
Wird interessant zu sehen sein, wie die Laufmarken dieser Welt das Thema "Wohlfühlen" in die Marketingkonzepte mit einbauen. :-)
Gerade habe ich ein Artikel über das Dehnen gelesen. Komisch, Dehnen nach dem Training macht mich deutlich beweglicher. Das könnte ich sogar belegen.
Und in meinen ersten Laufjahren bin ich mit Schuhen gelaufen, die heute jeden Laufexperten in Ohnmacht fallen liesse - aber scheinbar ging das... :-)
Ich habe bei Weitem auch nicht den besten Laufstil und meine Füße sind auch nicht die gradesten.
Abwechslung, sowohl in den Schuhen als auch bezogen auf den Untergrund ist in meinen Augen des Wichtigste.
Das bringt mehr als spezielle Schuhe, die den Fuß in ein "vermeintlich" richtiges Muster drücken.
Ich denke auch, dass Abwechslung ein ganz wichtiges Thema ist. Wie beim eigentlichen Training: Es müssen Reize gesetzt werden. Und falls immer nur das Gleiche gemacht wird, kommt es zu Verschleißerscheinungen.
PS: Ich habe dieses und letztes Jahr nicht teilgenommen. Deren Glück. ;-)
Ich denke für die meisten Laufschuhe am Markt gibt es geeignete Läufer :-) Der eine kommt mit gestützten Laufschuhen besser zurecht und der andere eben mit ungestützen Schuhen. Der eine benötigt viel Dämpfung, der andere läuft am liebsten barfuß. Aber unabhängig vom Schuh gibt es Läufer die sich verletzen und eben andere die nahezu unbeschadet laufen. Das so verstehe ich es war auch ein "Ergebnis".
Ich bin aber auch der Meinung, dass es eben genügend Läufer (und nicht nur Anfänger) gibt die wenig bis gar kein Körpergefühl haben und für die es auch deshalb schwierig sein dürfte nach "Komfort" (was auch immer genau das ist, zumindest ist es sehr individuell) den geeigneten Laufschuh auszuwählen. Zumal sich der Schuh ja nicht beim Kauf sondern erst danach u. U. deutlich danach (z. B. bei Umfangs- oder Intensitätssteigerung) als geeignet herausstellt. Aber egal wie geeignet der Schuh dann ist, ist der Laufschuh auch immer nur ein Verletzungsauslöser unter vielen. Gerade im Punkt Verletzungsauslöser spielt meiner Meinung nach auch mangelndes Körpergefühl eine entscheidende Rolle.