Laufstrecken // 16.06.2016

Laufen an der Mosel: Ein Ultraausflug

Der Kopf will, was der Kopf will. Und das sind in diesem Jahr ganz offensichtlich keine Wettkämpfe, und erst recht keine kurzen Sachen. Stattdessen steige ich vor drei Wochen an Fronleichnam morgens mit einem Laufrucksack bepackt in Trier aus dem Zug. "Nur" mit einem Laufrucksack bepackt, muss man sagen. Vor mir wartete schließlich ein dreitägiges Abenteuer.

Wozu weit in den Urlaub fliegen, wenn es vor der Haustür in Deutschland so viele schöne Gegenden gibt? Bei der Suche nach schönen Laufstrecken für ein kleines Ultra-Abenteuer fiel mein Blick auf die Mosel. Wasser, Weinberge und ein 200 Kilometer langer Radweg von Trier nach Koblenz. Nicht lang schnacken, Sachen packen.

 

Etappe 1: Trier - Traben-Trarbach, 91 Kilometer

Richtig: 91 Kilometer stehen dort für die erste Etappe. Bei einer bisher maximalen Distanz von 79 Kilometern ein durchaus anspruchsvolles Vorhaben, vor allem wenn noch zwei weitere Tage folgen sollten. Dem Kopf ist das aber egal. Ich will drei Tage an der Mosel laufen sagt er nüchtern. Also wird das gemacht.

In Trier geht es vom Bahnhof direkt zur Mosel, einmal rüber und dann auf dem Radweg entlang. Die Sonne strahlt und ich genieße. Das Laufen mit gut gefülltem Rucksack bin ich zum Glück durch meine regelmäßigen Touren zum Spinning gewohnt. Dort sind es allerdings nur dreieinhalb Kilometer, die das Gewicht auf den Schultern lastet. Aber irgendwie muss ich etwas zu trinken (1,5l Blase + 0,5l Soft Flask), Wechselklamotten (zumindest eine frische Hose und ein T-Shirt, um beim Abendessen/Frühstück nicht für Geruchstote verantwortlich zu sein), die üblichen Kleinigkeiten (Handy, Geld, Zahnbürste/-pasta, Tape, Vaseline, Pflaster, Sonnenmilch, ...) sowie genügend Verpflegung (Gels, Riegel, Salztabletten) ja mitschleppen.

Hier und da gönne ich mir eine Pause. Hocke mich kurz hin, trinke etwas und futtere einen Riegel oder ein Gel. Nach 35 Kilometern lege ich die erste längere Rast bei einem Gasthof ein: Traubenschorle trinken, Beine hochlegen und den Wasservorrat auffüllen.

Laufen an der Mosel
Laufen an der Mosel: Wasser, Grün und Weinberge

Das Laufen auf dem Radweg klappt wunderbar. Wenngleich viele Läufer den Wald vorziehen und möglichst keinen Meter auf Asphalt laufen wollen, fühle ich mich hier pudelwohl: Flach und immer geradeaus. Beste Bedingungen, um den Kopf abschalten zu können.

Nach 45 Kilometern noch einmal eine Rast. Riegel futtern macht keinen Spaß, ein Liter kalte Apfelschorle klappt deutlich besser. Die Halbzeit ist geschafft und der Kopf macht sich keine Gedanken. Wie selbstverständlich antworte ich dem Wirt, wie viel noch vor mir liegt. Einfach laufen. Wird schon klappen.

Inzwischen herrscht bestes Sommerwetter. Zumindest, wenn man sich faul in den Garten legen möchte. Ich suche vermehrt den Schatten und die Abkühlung. Zum Glück bieten sich immer wieder stellen, an denen ich - vielleicht nicht allersauberstes aber zumindest angenehm kühles - Moselwasser ins Gesicht schütten kann.

Nach 68 Kilometern erreiche ich Bernkastel-Kues. Touristen-Hochburg und meine Möglichkeit, abzukürzen. Von hier sind es nur fünf Kilometer bis zur Jugendherberge, wenn ich den direkten Weg nehme. Direkter Weg heißt in diesem Fall ab, hoch über die Weinberge. Über 300 Höhenmeter sind nicht unbedingt das, wonach meinen Beinen gerade ist. Wirklich schlimm fühlen sie sich noch nicht an - ist ja nur ein lockeres Läufchen, klar - aber bergauf und vor allem im Anschluss bergab ist etwas Anderes, als flach drumherum zu laufen. Und außerdem hieß es am Morgen "Heute werden 90 Kilometer gelaufen", also werden 90 Kilometer gelaufen. Da verstehe ich die Frage überhaupt nicht.

Also gönne ich mir die letzten 20 Kilometer, jetzt mit der Uhr im Blick. Bis 19 Uhr solle ich in der Unterkunft sein, wenn ich dort etwas vom Abendessen haben will. Eigentlich kein Problem. Mental fit und noch einmal frisch gestärkt mache ich mich auf den Weg.

Nach 80 Kilometern ist es dann aber soweit. Und es ist das typische Schicksal: 10 Kilometer vor Ende weiß der Kopf, dass das Ende naht. Jetzt kann man es versuchen, zu rebellieren und zu stänkern. Plötzlich ziehen sich die Kilometer und die Kräfte schwinden. Was am Anfang von Ortschaft zu Ortschaft war, ist jetzt von Baum zu Baum. Das Tempo sinkt, der Hunger steigt, doch Zeit für eine längere Pause ist nicht mehr. Stattdessen brauche ich ein paar Gehpausen, die eigentlich ebenso Zeit kosten. In Traben-Trarbach angekommen noch einmal über eine Brücke. Ein paar Höhenmeter hoch in den Ort.

18:59 Uhr ist es geschafft. 91 Kilometer in knapp acht Stunden Laufzeit und nach einer schnellen Dusche gibt es endlich etwas Richtiges zu essen, auch wenn "Vegan? Kein Problem!" in diesem Fall eher "Bedienen Sie sich bei den Beilagen" bedeutete. Aber viel mehr als einen Teller Kartoffeln bekomme ich ohnehin nicht herunter. Essen kann so verdammt anstrengend sein!

Eine Stunde später könnte ich hingegen wieder mit dem Essen beginnen. Nur ob ich am nächsten Tag tatsächlich nochmal mit dem Laufen beginnen kann, stelle ich in Frage. Eieiei, tut mir alles weh.

 

Etappe 2: Traben-Trarbach - Klotten, 61 Kilometer

Eine Nacht drüber schlafen. Dem prasselnden Regen vor dem Fenster lauschen. Das wäre eine passende Ausrede, um auszusteigen. 91 Kilometer, zieh dir das mal rein. Das reicht doch dicke für diesen Ausflug!

Am nächsten Morgen ereilt mich im Frühstücksraum angekommen aber die Überraschung. Bist du gerade eben nicht Treppen herabgestiegen? Und du jammerst gar nicht? Natürlich, die Beine sind nicht ganz frisch. Aber heldenhaftes Gekreische bei jeder noch so kleinen Treppenstufe? Fehlanzeige. Also geht es nach einem ausgiebigen Frühstück weiter. 61 Kilometer bis zur nächsten Unterkunft. Irgendwie wird das schon klappen.

Bereits nach 10 Kilometern die erste Pause. Uffz. Ganz so locker flockig läuft es doch nicht. Aber wieder steht im Kopf fest: Das sind 61 Kilometer bis zum Ziel, also werden 61 Kilometer gelaufen. Keine Diskussion.

Verpflegungstechnisch bleibt es unterwegs dabei: Riegel schmecken nicht und kriege ich kaum runter, Gels habe ich hingegen nicht unendlich viele dabei. Nach 25 Kilometer eine viel zu lange Rast bei einem Gasthof. Bis ich endlich bezahlen kann, hat die Uhr den Lauf bereits von alleine für beendet erklärt. Zum Glück sind es nicht automatisch wieder 61 Kilometer, die vor mir liegen.

Die Kilometer gehen irgendwie vorbei. Sie fliegen nicht, denn es bleibt eine tagesfüllende Aufgabe. Aber sie stören nicht. Keinmal schwingt ein "Oh Gott, noch XX Kilometer!" durch den Kopf. Es wird einfach gelaufen. Oder gegessen. Denn irgendwann ist es eine Imbissbude, die mich anlächelt. Eine Portion Pommes als Zwischenmahlzeit beim Laufen. Ein Traum.

Der nächtliche Regen hatte sich längst verzogen. Die Armlinge, die ich am Anfang übergezogen hatte, verschwanden schnell wieder im Rucksack. Stattdessen genieße ich den Tag lang den Sonnenschein. Erst nach 50 Kilometern schlägt das Wetter langsam um. In Ernst flattert kräftig das Absperrband der Polizei, die aufgrund eines in der Mosel versunkenen Autos hier im Einsatz ist. Einen kurzen, kräftigen Schauer warte ich zunächst unter einem Baum ab und kurz nachdem ich mich mit Regenjacke zum Weiterlaufen entschieden habe, scheint wieder die Sonne.

Und natürlich schmerzen die Beine vermehrt. Sie wollen nicht mehr, aber sie müssen. Nur noch ein Katzensprung zum Hotel. Ein paar Kilometer. Am Weinfest in Cochem vorbei. Nochmal einmal auf den Oberschenkeln abstützen, den letzten Schluck Wasser trinken und zum Schlussspurt ansetzen. Drei Kilometer, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Im Hotel angekommen glaube ich wie am Vorabend nicht daran, nach der Nacht noch einmal loslaufen zu wollen.

 

Etappe 3: Klotten - Koblenz, 50 Kilometer Kobern-Gondorf, 28 Kilometer

Am nächsten Morgen wiederholt sich das Spiel. Treppensteigen? Nicht so flüssig wie sonst, aber noch immer nicht unmöglich. Beim Frühstück allerdings zeigt sich die Kraftlosigkeit etwas deutlicher. Während ich am Vortag noch problemlos fünf Brötchen vertilgt habe, muss ich mich nun mühen, zwei Brötchen zu essen.

Trotzdem laufe ich wieder los. Da staunen auch die Radfahrer, die ich auch an den Vortagen jeweils getroffen habe, nicht schlecht. Wir sehen uns in Koblenz! ...

Laufen an der Mosel
Start am dritten Tag: Noch liegt der Nebel über den Hängen

Insgesamt klappt das Laufen auf dem Moselradweg bestens. Die Strecke ist gut ausgeschildert und der Weg ist nicht so überfüllt, wie zu befürchten wäre. Links und rechts der Mosel winden sich die Weinberge und nette, kleine Ortschaften zieren den Weg. Das einzige Problem: Die Straße. Auch wenn die Strecke als "Premium-Radroute" bezeichnet wird, führt sie die meiste Zeit direkt an der Straße entlang. Teilweise sogar ohne jeglichen Schutz. Keine Leitplanke - zumindest nicht zur Straßenseite - und teilweise nicht einmal Leitpfosten. Kurz hinter Klotten laufe ich noch über die Markierungen der Polizei, wo erst vor wenigen Wochen eine Gruppe Radfahrer von einem Auto erfasst wurde.

Mich lassen die Autofahrer zum Glück in Ruhe. Allerdings lassen mich nun auch meine Kräfte im Stich. Noch einmal eine längere Verpflegungspause und im Anschluss der Versuch, mit einem Hörbuch auf den Ohren mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Aber der Körper ist leer. Noch einmal auf einer Bank Platz nehmen. Irgendwie einen Riegel runterbringen. Trinken. Kühlen. Es hilft nichts. Die Pausen wird häufiger und länger.

Nach 23 Kilometern ist es soweit und ich stapfe zum Bahnhof in Kartenes und finde mich mit dem Schicksal ab. Ohne Unterkunft, die ich erreichen muss, und stattdessen mit der Möglichkeit, an jedem Bahnhof den Heimweg antreten zu können, bleibt keine Kraft, mich irgendwie noch durchzubeißen. Der einzige Nachteil in Kartenes: Hier fährt heute kein Zug, wie ich irgendwann auf meinem Handy erfahre. Aufgrund eines Hangrutsches am Vortag, an dem ich etwas früher vorbei gelaufen bin, fährt der Zug erst ab der übernächsten Station.

Die letzten Kilometer bis dorthin sind eine Qual. Nach etwa 28 Kilometern ist es vorbei. Kein "Finish" in Koblenz, kein Anschluss an mein Streckennetz, das von Kaiserslautern aus bereits bis eben Koblenz reicht. Stattdessen krame ich alles, was ich an zusätzlicher Kleidung dabei habe, heraus und lege mich im Zug in die Ecke. In Kaiserslautern angekommen reicht die Kraft immerhin, um vom Bahnhof die anderthalb Kilometer bis zur Badewanne quasi zu spurten, denn hier herrscht das Unwetter, von dem ich die drei Tage lang zum Glück verschont blieb. Danach ist der Körper für den Rest des Abends aber völlig am Ende.

Laufen an der Mosel
Man muss wissen, wann Schluss ist.
(Die im Bau befindliche Hochmoselbrücke, kurz hinter Bernkastel-Kues)

 

Drei Tage, 180 Kilometer - Einfach laufen. Was will man mehr?

Einfach laufen. Für sich sein und alleine schauen, was der Körper leisten kann. Dafür brauchte es keine lange Planung, keine offizielle Veranstaltung und auch kein nervöses Herumposaune, was für eine Mammutaufgabe vor mir liege. "Einfach laufen" beschreibt wunderbar, was die drei Tage waren. Probleme mit Gelenken oder Sehnen? Keine. Blasen oder sonstige Probleme? Nein. Höchstens die Laufmotivation hat im Anschluss etwas gelitten. Die Luft ist seit dem Wochenende ein wenig raus, aber das dürfte angesichts der Belastung, körperlich wie mental, nur allzu verständlich sein. Und noch ist genügend Zeit bis zum Herbst. Egal, ob ich dann wieder bei einer Veranstaltung an der Startlinie stehe, noch einmal auf eigene Faust ein solches Abenteuer mache oder einfach nur die Beine hochlege. Denn am Ende wird einfach das gemacht, worauf ich zu dem Zeitpunkt Lust habe.