Laufblog: Aktionen // 02.07.2012
Das verrückte EM-Laufspiel - Was bisher geschah
Früher war alles besser. Da hätte mir Mutti so etwas nicht erlaubt. Aber nein, ich wollte ja unbedingt groß werden und selbst entscheiden dürfen, was gut für mich ist. Was am Ende aus der ganzen Aktion wird, kann ich noch nicht abschätzen. Ich weiß nur, dass folgende Warnung definitiv notwendig ist:
„Warnung: Bitte nicht nachmachen!”
Es ist die Geschichte vom EM-Laufspiel. Die Fortsetzung des WM-Laufspiels, das Christian Brenner vor zwei Jahren ins Leben gerufen hatte. Das Prinzip ist einfach: Die Läufer starten für ein Land gemäß dem eigentlichen Spielplan. Wer mehr Kilometer läuft, hat gewonnen. In diesem Jahr sind es aufgrund des Andrangs zwei Läufer pro Land, die Kilometer werden addiert.
Vor zwei Jahren noch war ich vernünftig. In meinen Trainingsplan lasse ich mir schließlich nicht hineinreden. Ich bestimme wann ich laufe und wie viel ich laufe. Rücksichtslos Kilometer abspulen? Ich bin doch kein Ultraläufer. - Tja. Zeiten ändern sich. Nur weil ich glaube, ich sei vernünftig, muss das noch lange nicht stimmen. Dieses Jahr war der Ehrgeiz zu groß.
Portugals Weg ins Finale
So starten Ronny und ich für Portugal. Bereits vor EM-Start ist klar: Das wird ein anderes Kaliber. Nachdem Chris, WM-Sieger für Honduras, viele Läufe über den Tag verteilt ins Spiel gebracht hat, weiß dieses Mal jeder vorher, wie es geht.
Um Mitternacht wird die erste, kleine Runde gestartet. Ganz gemütlich. Nach dem Aufstehen ein langer Lauf, am frühen Abend eventuell ein weiterer und kurz vor Mitternacht "auslaufen". Mich ergreift der Ehrgeiz in vollem Maße. 55 Kilometer am ersten Spieltag, darunter ein Marathon als langer Lauf. Natürlich mit Pinkel- und Verpflegungspausen, mit Fahrradbegleitung und im lockeren Tempo. Der verrückte Eindruck bleibt.
Im Auftaktspiel besiegen wir Deutschland (Andre & Jana) mit 81:63, danach Dänemark (Daniel & Peter) mit 80:67. Damit war auch die läuferische Todesgruppe überstanden und im 3. Spiel sowie im Viertelfinale überlasse ich bei einfacheren Gegnern Ronny die Arbeit.
Ein ganz normales Halbfinale im Leben eines EM-Teilnehmers
Im Halbfinale heißt unser Gegner dann Italien, für die aufgrund einer Verletzung inzwischen nur noch Ulf läuft. Unser Nachteil: Seine Kilometer zählen doppelt. Und mein Nachteil: Ich habe meinen Lauf für das Finale längst geplant. Schwanz einziehen und das Halbfinale abschenken ist nicht.
Also wird sich vorbereitet. Die Beine werden hängen gelassen und der Gegner analyisiert. 50 km ist er im Halbfinale gelaufen, die zum 100:71-Sieg reichten. Gegner Ukraine hatte es in der Vorrunde auf bis zu 80 km geschafft. Würde Ulf sich also auch gegen uns mit 50 km zufrieden geben? Oder hat er Angst vor uns? Als Selbstständiger hätte er zumindest die Zeit, uns den Schneid abzukaufen. Also: Alles geben und hoffen, dass es reicht.
Pünktlich um Mitternacht fällt der erste Startschuss. Schleppende 10 Kilometer. Die Uni ist für den Tag schon längst gestrichen. Nach dem Aufstehen geht es mit meiner Freundin im Zug nach Bingen, um von dort zurück bis nach Rockenhausen zu laufen. Schöne Strecken, die das eigene Streckennetz erweitern, machen den langen Lauf einfacher.
Bei 27 Grad ist "einfacher" allerdings sehr relativ. Erst recht, wenn die Strecke 49 Kilometer hat. Viel zu trinken und zu essen ist dabei, die Mineralien fehlen allerdings. Pausen werden gemacht. Und dass die Beine irgendwann schmerzen, da muss man durch. Also kämpfen und beißen. Den Kreislauf-Kollaps verhindern. Es geht um den Finaleinzug.
Vor dem deutschen Halbfinale der Fußballer kommen noch einmal die wohl langsamsten drei Kilometer des Jahres hinzu und nach dem Abpfiff bis zu unserem Abpfiff selbstverständlich eine weitere Runde. 72,8 Kilometer sind es am Ende, die zum 123:80-Sieg reichen. Glück gehabt.
Der Blick auf's Finale: Jetzt wird es tödlich
Blöd nur, dass noch ein Finale wartet, dass die Unvernunft ein weiteres Mal zum Vorschein bringt. Um das Streckennetz im traumhafter Manier zu erweitern, schwebte mir von Anfang an eines im Kopf herum: Bis nach Neuwied zu Eva und Christian zu laufen. Mit dem Halbfinale war Bingen erreicht. Bleiben rund 87 Kilometer von Bingen nach Neuwied.
„Das ist der Moment, die Existenz jeglicher Vernunft in meinem Kopf zu bestreiten.”
Eva hatte für einen Ultralauf meinerseits sofort die Radbegleitung angeboten. In den Morgenstunden werden wir also nach Bingen fahren, um uns von dort auf dem Rhein-Radweg bis nach Neuwied zu schlängeln.
Dass ich die komplette Strecke schaffe, scheint nach diesem Halbfinale aber in weite Ferne gerückt zu sein. Die rund 65 Kilometer bis nach Koblenz wären schon enorm, bei angenehmerem Wetter und besserer Planung der eigenen Versorgung aber vielleicht möglich.
Kompressionssocken, eine alternative Laufhose, ein zweites Paar Laufschuhe, ein zweiter Forerunner, massig Tape und Vaseline, Getränke, Energieriegel, Nüsse und Rosinen sind eingeplant. Das Kapitel zum Ultralaufen in Steffnys Buch wurde (ohne Gewinn neuer Erkenntnisse) gelesen, der Ultraläufer in Person von Steffen wurde befragt.
"Mehr als schief gehen kann es nicht", sagt man so schön. Ich hoffe nur, dass es in diesem Fall wirklich nicht schief geht. Dass ich bei Problemen aufhöre, dass ich meinen Körper nicht total ins Verderben laufe. Ob ich im Kopf stark genug dafür bin? Wir werden es sehen.
Wenn die ersten diesen Bericht lesen, wird das Finale vorbei sein. Meine Beine und Füße werden vielleicht abgefallen sein oder zumindest auch ohne Bewegung schmerzen. Von Blasen an den Füßen gehe ich ebenso aus wie von einer Woche Muskelkater. Ob es zum Sieg gereicht haben wird? Keine Ahnung. Ihr werdet es auf Twitter herausfinden können.
Ich aber möchte endlich berichten dürfen - kann das aber selbstverständlich erst nach Abpfiff. Sonst würde das ja einem Maulwurf gleichen, der vor Spielbeginn die Aufstellung verrät. Wer will denn so etwas? Deshalb schreibe ich diese Zeilen bereits vor dem Finale und lasse den Bericht pünktlich um Mitternacht veröffentlichen.
Und bitte versprecht mir eines: Ihr werdet so einen Schei* niemals machen.
Siehe auch
- EM-Laufspiel - Spiel ohne Ball brennr.de
- Rückblick bei Sinusläufer
12 Kommentare
Lob, Kritik und Anregungen sind immer herzlich willkommen.
Zum Bloggen gehören eure Meinungen ebenso sehr wie die Artikel.
Aber das gefällt mir. Vernünftig kannst Du noch werden wenn Du so alt wie ich bist. ;-)
Leider hat´s zum Sieg ja nicht ganz geklappt. Trotzdem Glückwunsch zu deiner Wahnsinns-Leistung.
Respekt und gute Erholung!
Echt geiler Bericht!!!
Sport frei!
Thomas
und siehe da, es gibt immer noch einen der ein bisschen verrückter ist. Schade für Euch dass es nicht gereicht hat. Aber meine Hochachtung habt Ihr.
Erhole Dich gut.
Grüße aus der Ukraine -timekiller-
Viele Grüße aus Dresden!
Ronny
... solange meine Beine das Unvernünftigsein bis dahin mitmachen :-)
@-timekiller-:
Zum Glück ging es ja um nicht mehr als die Ehre, da kann ich auch mit dem zweiten Platz für Ronny und mich gut leben.
VG, Manuel